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Commentaries
German
Offenbarung
  
Der Löwe aus Juda erscheint als geschächtetes Lamm
5,6Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Gestalten und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande.


Johannes ließ seine Augen gespannt durch das weite Rund des Himmels schweifen. Er wollte den mächtigen und sieghaften Löwen aus Juda sehen, der die ganze Welt erobern und sich untertan machen sollte. Aber so sehr Johannes um sich blickte und sich anstrengte, er sah im Himmel keinen Löwen!
Plötzlich erkannte der Seher inmitten des Thrones, mitten zwischen den vier furchterregenden Wächtern, etwas Kleines, ein weißes Lamm. Da stand kein starker Löwe, sondern nur ein schwaches, Mitleid erregendes Lämmlein, unschuldig und schutzlos mitten im Zentrum der Herrlichkeit. Wie war es dort bloß hineingekommen? Die Strahlen der richtenden Heiligkeit Gottes hatten das Opferlamm weder verbrannt noch vernichtet. Es war schon immer im Thron zu Hause gewesen und nun wieder zu seinem Vater, zu seinem Ursprung, zurückgekehrt.
Das Lämmlein stand im Mittelpunkt der vierundzwanzig Ältesten, deren Throne rings um den erhabenen Thron Gottes standen. Das Lamm, das als theologischer Zentralbegriff 28mal in der Offenbarung genannt wird, stellt von seinem Erscheinen an den Mittelpunkt des Heils- und Weltgeschehens in der Offenbarung dar. Im Himmel gruppierten sich ein äußerer und ein innerer Kreis um den Löwen aus Juda, der ein Lamm war.
Das Lamm Gottes will der Mittelpunkt auch unseres Denkens und Tuns werden. Unser Leben, unsere Familie, unser Dienst, unsere Gemeinde, unser Volk, die ganze Welt und selbst die Engel sollen Jesus im Zentrum haben. Nicht die Kaaba in Mekka mit ihrem schwarzen Stein ist der Mittelpunkt der Welt, sondern das Lamm Gottes, das die Sünde aller Generationen wegtrug.
Der ausgestoßene Jesus, der außerhalb der Tore Jerusalems verlassen und verachtet starb, war zum ruhenden Mittelpunkt des Daseins geworden.
Das griechische Wort, das Johannes hier benützt, stellt eine Verkleinerungsform vom Lamm dar und heißt „Lämmchen“. Johannes legte seine ganze Liebe zu Jesus in dieses Wort hinein. Er wollte das Lamm Gottes nicht verniedlichen, sondern darauf hinweisen, dass es von Natur aus schwach, unschuldig, gebrechlich und unfähig zum Siegen war.
Johannes trug das Bild vom Lamm Gottes von Kindheit an in sich. Seine Familie hatte jährlich ein Passalamm geschlachtet, geröstet und sein Fleisch miteinander verzehrt (2. Mose 12,1-13). Er wußte, allein das Blut des Lammes rettete das verängstigte Volk vor dem Gericht und Zorn Gottes. Die Basis des neutestamentlichen Opfer- und Heilsverständnisses bleibt die geheimnisvolle Botschaft vom leidenden Gottesknecht in Jesaja 53,2-12, der stellvertretend unsere Sünde und Krankheit trug und unsere Strafe erlitt, als er wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde.
All das wußte der Apostel Johannes von Kind auf. Der Durchbruch in seinem Denken aber kam, als Johannes der Täufer seine Jünger auf Jesus hinwies, den er gerade getauft hatte, und ihnen zurief: „Siehe! Das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ (Joh. 1,29+36). Da verließen Andreas und Petrus mit Jakobus und Johannes ihren gestrengen Lehrer und folgten von Stund an dem Lamme nach. Sie sahen, erkannten und bezeugten das Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu als Opferung des einzigartigen Gotteslammes, das die Welt mit Gott versöhnte (Joh. 3,14-16; Apg. 8,32; 1. Kor. 5,7; 2. Kor. 5,21; 1. Petr. 1,18-19; Hebr. 9,14; 10,14). Jesus braucht deshalb nicht nochmals extra für die Muslime zu sterben. Sein Tod genügt auch für jeden von ihnen. Sie kennen jedoch ihr Recht nicht oder wollen davon nichts wissen.
Johannes hatte den Opfergang Jesu selbst miterlebt. Er sah, wie sein Herr während seines Gebetskampfes im Garten Gethsemane am Boden lag mit Angstschweiß auf der Stirn (Mt. 26,38-39; Mk. 14,34-36; Lk. 22,42-44). In der Schau an der Schwelle der Himmelstür aber sah Johannes das Lamm Gottes mitten im Thron als Überwinder stehen.
Am Kreuz rief Jesus nach den Schmerzen seiner Agonie: „Es ist vollbracht!“ Dann verschied er, verachtet und verflucht von den Ältesten seines Volkes. In seiner Vision jedoch sah der Jünger, den der Herr lieb hatte, seinen König als Lamm lebend und hochgeehrt mitten im Thron Gottes stehen. Jesus hatte seinen Jüngern vorgelebt, was Paulus beschrieb: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark! (2. Kor. 12,9-10).
Jesus starb als junger Mann von 33 Jahren. In seiner Vision sah Johannes seinen Herrn im Mittelpunkt von vierundzwanzig Ältesten, von denen manche zwanzig bis dreißig Mal älter geworden waren als er selbst. Jesus ist auferstanden! Er lebt und belebt durch sein Leben selbst die Väter des Glaubens.
Die offenkundige Zentralstellung des Lammes Gottes im Himmel will uns lehren: Das Lamm allein schafft das Heil, die Versöhnung und die Rettung. Der Weg dem Lamme nach ist der einzige Weg zu Gott. Durch das Lamm wird alles neu. Am Lammesgeist zerbricht die Wolfsgier des Menschen. Wo in einem Haus oder in einem Team das „Lamm“ die Mitte ist, bleibt der Friede erhalten.

Keine dieser Deutungen und Auslegungen stammt aus dem Bericht des Johannes von der Schau des Lammes Gottes. Er sah und beschreibt nichts außer einem Lämmlein. In diesem Symbol konzentrieren sich Traditionen, seine Empfindungen, sein Wissen und sein Glaube. Aber er stellt bei der Beschreibung des Lammes Gottes eine Eigenschaft überdeutlich heraus: Es sah so aus, als ob das Lamm geschlachtet oder erwürgt worden sei. Eine große Narbe vom Schächt-schnitt am Hals verriet, dass das Lamm Gottes völlig ausgeblutet war. Das war Johannes das wichtigste an dem Lämmlein: Seine Opferung war vollendet. Das Opferblut des heiligen und unschuldigen Lammes hat die Welt mit Gott versöhnt (1. Joh. 1,7; 2,2). Das Lied von Paul Gerhardt, „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und ihrer Kinder“, sollte von uns auswendig gelernt und in Anbetung gesungen werden!
Der auferstandene Herr Jesus hatte den Gemein-deleiter in Ephesus getadelt, weil er die erste Liebe verlassen hatte. Das geschlachtete Lamm Gottes aber zeigt uns, was „erste Liebe“ heißt: Sich Gott in bren-nender Liebe und Heiligkeit völlig hinzugeben und bereit zu sein Zeit, Geld und Leben für andere Menschen zu opfern.
Das Lamm Gottes siegte über die Machtgier und den Stolz des Menschen in der Liebe, Heiligkeit und Kraft seines himmlischen Vaters. Es siegte über die Sünde und blieb heilig und ohne Schuld. Deshalb war es würdig, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen.

Das Lamm Gottes liegt heute nicht mehr tot und ausgeblutet am Boden, sondern ist auferstanden. Jesus ist wahrhaftig auferstanden! Er lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Im Alten Testament werden Hörner oft als Zeichen der Kraft beschrieben (4. Mose 23,22; 5. Mose 33,17; Dan. 7,7; 8,3+5+12+20+21). Auch in der Offenbarung ist in verschiedenen Zusammenhängen von Hörnern die Rede (12,3; 13,1+4; 17,3,7,11). Das Lamm Gottes trug sieben Hörner als Zeichen seiner Vollmacht. Jesus hat-te vor seiner Himmelfahrt bekannt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker... (Mt. 28,18-20).
Der machtlose Verurteilte, das unscheinbare Lamm besitzt alle Macht im Himmel und auf Erden. Wer stolz bleibt, lebt kraftlos. Wer zerbrochen wird und sich in das Bild des Lammes verwandeln läßt, durch den kann die Kraft des auferstandenen Christus wirken (2. Kor. 12,9).

Das Lamm, das Johannes sah, war kein irdisches Lämmlein, sondern sah einem solchen nur ähnlich. Seine Erscheinung war eine Sichtbarmachung der geistlichen Realität des auferstandenen Christus, seiner Demut, seiner Allmacht und seiner Allwissen-heit. So wie Gott Geist ist (Joh. 4,24), ist auch der Herr Jesus Geist (2. Kor. 3,17). Die sieben Augen des Lammes sind wie die sieben Fackeln vor dem Thron Gottes ein Sinnbild für die Unerklärbarkeit des Heiligen Geistes. Der Herr sieht alles, weiß alles, durchschaut alles und kennt alles. Er ist allwissend. Die sieben Augen des Heilandes gleichen jedoch nicht den Augen eines Polizisten, der jede Straftat notiert, sondern den Augen einer Mutter, die die Fehler und Sünden ihrer Kinder erkennt, jedoch hofft und glaubt, dass sie sich bessern, und ihnen dabei helfen will. Die sieben Geister Gottes sind die heiligen Augen der Liebe Jesu Christi. Er hat auf jede seiner sieben Gemeinden in Kleinasien ein Auge gerichtet. Bei ihm heißt es nicht „aus den Augen, aus dem Sinn!“.
Die sieben Geister Gottes, von denen Johannes den Gemeinden Gnade und Frieden zusprach, sind zugleich auch die sieben Geister Jesu Christi. Der Herr bezeugte: Alles, was der Vater hat, das ist mein (Joh. 16,15). In Offenbarung 3,1 lesen wir, dass Jesus sich als der vorstellte, der die sieben Geister Gottes hat und mit ihnen unterwegs ist, um bei dem geistlich toten Gemeindeleiter in Sardes Wiederbelebungsversuche vorzunehmen. Aus diesem Zusammenhang wird die Einheit der Heiligen Dreieinigkeit deutlich (Joh. 3,35; 10,30; 14,9-11+23-26; 16,7; 17,2+21-24; Apg. 1,8; Mt. 28,20). Die sieben Geister Gottes, die gleichzeitig die sieben Augen des Lammes sind, blieben nicht im Himmel, sondern ließen sich in alle Länder der Erde senden. Sie sind auch heute unterwegs zu Rettungsaktionen auf allen Kontinenten. Nicht wir sind es, die laufen und missionieren, der Geist Gottes läuft und rettet. Wir hinken oft hinterher. Wir sind keine Retter, nur Zeugen dessen, was der wahre Retter tut trotz unserer Unfähigkeit. Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder (Röm. 8,14). Die ganze Rettungskraft des Himmels ist unterwegs. Schlafen wir immer noch?